Anton Thuswaldner über das Prosa-Werk von M.G.Hofmann,
anlässlich des M.G. Hofmann gewidmeten Abends
am 20. Jänner 2010 im Literaturhaus Salzburg,

Einführung für Maria Georg Hofmann

Über einen Roman herrschen viele Vorstellungen und Missverständnisse. Jeder hat seine Erwartungen, jeder weiß für sich, was einen Roman zu einem Roman macht.
Manche geben sich damit zufrieden, wenn der Roman prall voll ist mit Geschichten, sodass er zu einer konturlosen Masse wird. Sie meinen, wenn sich Abenteuer auf Abenteuer türmt, wenn sich skurrile Gestalten darin tummeln und sich Wirklichkeiten abzeichnen, die mehr als für ein einziges Leben reichen, ist das genug. Dann taucht man ab in eine Welt, die mit der eigenen nichts zu schaffen hat. Das mag befreiend wirken. Anderen geht es glanzvoller als einem selbst, anderen geht es dreckiger als einem selbst, man findet sich ab mit einer Mittellage, die zwar nicht ideal, aber in ihrer Banalität einigermaßen bequem ist.
Das ist die Verlängerung des höfischen Epos in die durchschnittliche Gegenwart.
Das alles findet man in Maria Georg Hofmanns Roman "Der Auftritt des linkshändigen Dichters Alexander Galajda".
Manche geben sich damit zufrieden, im Roman ein Abbild der eigenen Wirklichkeit zu finden. "Das bin doch ich", geht es einem auf, genauso wie es einem unserer naivsten Literaten in Österreich einmal aufgegangen ist, als er vermutete, dass er das Zeug zum Wunderkind hätte. Was Selbsttäuschung doch alles bewirken kann! In solchen Romanen liest man dann von kleinbürgerlichen Menschen in kleinbürgerlichen Verhältnissen, wie sie anderen kleinbürgerlichen Menschen mitspielen. Dann erkenne ich meine eigene kleinbürgerliche Welt und fühle mich darin bestätigt, weil Kleinbürger unter sich erkennen einander und verstehen sich. Alles ist ein bisschen mickrig und klein, das gefällt deshalb, weil ich selbst auch mickrig und klein bin. Die Außenwahrnehmung entspricht der Selbstwahrnehmung, und der Roman ist die Bestätigung der eigenen Tristesse durch die Tristesse der anderen.
Das ist die Verkürzung des ehemals so anspruchsvollen Konzepts des Realismus durch die Spielart des sozialistischen oder kapitalistischen Realismus.
Das alles findet man in Maria Georg Hofmanns Roman "Der Auftritt des linkshändigen Dichters Alexander Galajda".
Das ist ja das Seltsame an diesem Buch, dass es Elemente von beiden Spielarten des Romans in sich birgt.
Ein Schicksal waltet über den Figuren, groß und mächtig, es ist unausweichlich. Es ist nicht von den Göttern über die Menschen verhängt, sondern von Menschen selbst gemacht. Es handelt sich um die säkularisierte Form des Schicksals und heißt Geschichte. Diese zieht mit Krieg, Not und Grausamkeit ins Land und lässt niemanden unangetastet. Die Geschichte fordert ihre Opfer wie früher die Götter, als sie noch etwas zu sagen hatten. Und die Geschichte kennt ebenso wenig Gnade wie diese.
Den Figuren im Roman von Maria Georg Hofmann haftet nichts Großartiges an. Sie werden durch ihre Leiden nicht erhöht, sie bekommen keinen Glanz durch ihre Anstrengungen, ihre Haut heil durch die Zeitläufte zu bringen. Sie sind Krämerseelen, denen mehr zugemutet wird als ihnen eigentlich zustehen dürfte. Helden sehen anders aus.
Der Familienroman Hofmanns spielt Zeitgeschichte in einer Stadt mittlerer Größe, im ungarischen Györ, durch. "Wer in Ungarn einer Minderheit angehört, ist entweder Schwabe oder Jude", sagte mir die Autorin im Gespräch. Sie erzählt von einer Kindheit in der ungarischen Provinz, die in Unordnung geraten ist, weil die politischen Verhältnisse wieder einmal keinen Stein auf dem anderen lassen. Als der Roman beginnt, ist die Idylle nicht fern: "Etwa zehn Tage vor Weihnachten, ich mochte zwischen vier und fünf gewesen sein", macht die Schneelandschaft einen friedlichen Eindruck. Hofmann erfindet nicht, sie erinnert sich. Dass dem Roman ein Hang zur Groteske unterstellt wird, hängt nicht mit der überbordenden Fantasie der Verfasserin zusammen, sondern mit den Zuständen im Land, die die Normalität ausgehebelt haben.
Vater und Kind gehen aus dem Haus, absolvieren Weihnachtsbesuche und verschenken Gläser mit Kompott. Dass in dieser Zeit, es ist die Zeit des Reichsverwesers Admiral Horthy und noch herrscht Frieden, schon einiges nicht stimmt, bekommt das Kind bereits mit. Die beiden suchen die Frau Schramm, die vor kurzem delogiert worden war und jetzt in einem Barackenhaus untergebracht ist. "So etwas habe ich hier zum ersten Mal gesehen: Das Haus war durch einen grobgezimmerten mittleren Gang der Länge nach in zwei geteilt, rechts und links Boxen, deren Wände nicht bis zur Decke gingen."
Hier wohnen also Menschen, Armut ist greifbar. Dabei wächst das Kind selbst unter beengten Verhältnissen auf, was es keineswegs bedrückt. Der Vater, ein Ingenieur, hat es nicht weit gebracht in seinem Leben, er steht stets im Schatten von anderen, seinem eigenen Vater zum Beispiel. Er repariert Maschinen. In der Küche badet er Schreibmaschinen in Benzin, kurz vor Mittag muss er zusammenpacken, denn jetzt verwandelt sich der Arbeitstisch des Vaters in jenen der Mutter, die hier Teig auswalkt. Die Verhältnisse sind grotesk, es bedarf nur eines scharfen Blickes, die Groteske zu erkennen.
Das Kind wird Zeuge der Ereignisse: Krieg verdüstert die Lage, die Nazis wüten, Bomben fallen, die Flucht wird organisiert. Das sind Zustände, die literarisch in unzähligen Varianten festgehalten wurden, Und wenn man dennoch nicht kühl bleibt, die Schultern zuckt und meint, sowieso alles schon zu kennen, dann liegt das am Zugriff einer Autorin, die sich um all die ernsthaften und auch krampfhaft seriösen Darstellungen nicht kümmert und ihr eigenes Ding macht.
Das Leben ist unordentlich, warum also soll ein Roman Ordnung schaffen? Eine Vielzahl von Geschichten und Episoden, von kleinen und großen Dramen finden hier ihren Niederschlag. Sie mäandern durch das Bewusstsein von heute, das all diese verlorenen Lebensmomente unter das Mikroskop der Erinnerung hält. Das verleiht dem Roman den Wildwuchs, der nicht zu bändigen vermag, was in der Zeitgeschichte vermasselt wurde.
Im Jahr 1995, als der Roman erschien, war er ein Solitär der österreichischen Literatur. Peter Rosei veröffentlichte den Roman "Persona", von Gerhard Roth kam der Roman "Der See" auf den Markt. Manfred Rumpl begann sich zu etablieren mit seinem zweiten Roman "Anatol Hofers Trotz", und Elisabeth Reichart verunsicherte ihre Leser wieder einmal mit dem Roman "Nachtmär". Michael Köhlmeier tauchte ab in die Mythologie, und als er wieder hochkam, brachte er den Roman "Telemach" mit. Grotesk wurde es auch bei George Tabori, der 1995 das Stück "Die Massenmörderin und ihre Freunde" im Wiener Akademietheater auf die Bühne brachte. Nicht ganz ordentlich ging es auch bei Peter Turrini zu, der mit seinem Schauspiel in drei Akten "Die Schlacht um Wien" ins Burgtheater Unruhe brachte.
In diese Situation brach Maria Georg Hofmann als 62jährige Debütantin ein. Jetzt, im Abstand von fast fünfzehn Jahren, vermag man zu sagen, dass ihr ein Klassiker der österreichischen Literatur gelungen ist.

Anton Thuswaldner