1. Szene

DRITTER WEISER
mit einem zuerst noch kleinen Luftballon, erscheint.

Er bläst den Ballon weiter, der bald eine beachtliche Größe annimmt.

Er steigt auf den Trümmerhaufen der zusammengebrochenen Schaukel und versucht, sich von dort wegzustoßen. Da aber der Ballon doch noch nicht groß genug ist, fällt er auf die Erde zurück.

KNECHT
erscheint, seinen Karren ziehend, auf dem Karren die ersten beiden Weisen.
Geschluckt! Geschluckt! Geschluckt!
Daneben geschluckt!
Sechszehn, bleibstehn!
Stimmt, stimmt, stimmt,
die Rechnung stimmt,
daneben geschluckt,
Bumms-Ruck-Schluck-Ruck …

(erblickt den Weisen, lustlos) Fuck …

DRITTER WEISER
(erschauert) Es naht der böse, dumme Knecht!
Der dumme, böse, fürchterliche Knecht!

KNECHT
Geht auf den dritten Weisen zu, mit sichtlichem Interesse am Ballon.

DRITTER WEISER
will den Ballon verstecken. Knecht greift nach dem Ballon.
Der Weise kriegt Angst, stößt den Knecht zurück, der ihm den Ballon entreißt.

KNECHT
(neutral) Blasen. Ich stark.

DRITTER WEISER
(erleichtert) Du blasen. Ja. Du bist der Knecht.
Du bist der starke Knecht. Du bist der fürchterlich … starke Knecht.
Der Knecht bläst den Ballon, der die Formen eines überdimensionalen Phallus annimmt.
Dritter Weiser freut sich enorm wegen der Größe und der schönen lilaroten Farbe seines Ballons.
Er steigt erneut auf den Trümmerhaufen, in der Hoffnung, dass er nun endlich fliegen wird.

DRITTER WEISER
Den Knecht entzückt anschauend, der mit dem Blasen noch immer nicht aufgehört hat.
O Mann! O Boy! O du starker, starker Boy! O Boy! Ach! Boy! Boy! Boy!

Der Dritte Weise greift wie selbstverständlich nach dem nun vom Knecht aufgeblasenen Ballon. Der Knecht schaut hilflos und mit offenem Mund nach seinem Werk. Während der Dritte Weise in höchster Entrückung, sich an seinen Ballon klammernd, abstoßen will, stampft der Knecht auf den Boden und hält den Dritten Weisen an dessen Kaftan fest. Es stellt sich heraus, dass die Körperkraft des Knechtes den Höhenflug des Dritten Weisen verhindern kann. Mitten im Getümmel steckt der Knecht seinen Finger in den Ballon, der daraufhin zerplatzt. Dritter Weiser plumpst zur Erde.

DRITTER WEISER
Aber, aber, aber, aber …

Blumen und Obst fallen von den Bäumen, die im Nu nackt dastehen.
Die nackten Bäume krümmen sich.
Dritter Weiser flüchtet, durch die Explosion angegriffen, mit dem übriggebliebenen Ballonfetzen, den er krampfhaft zwischen den Beinen umklammert hält.

DRITTER WEISER
(zum Rest seines Ballons) Mein Alles! Du mein Einziges und Alles!
Ich lasse dich nicht! Ich lasse sich nicht!

Vergeblich. Der Knecht entreißt ihm nach einer Hetzjagd, welche der Dritte Weise hinkend, in letzter Kraftanstrengung verliert, das letzte Stück seines Ballons.
Er beschnuppert es und frißt es auf.
Der Dritte Weise stirbt.

KNECHT
ladet den Dritten Weisen auf seinen Karren, über die beiden anderen Weisen.
Er spuckt das Ballonstück heraus, hebt es wieder auf und schlürft den joghurtartigen Inhalt des Ballonrestes.
Für einen Moment versteift er sich, dann wird er von konvulsivischen Krämpfen erfasst:
Großer Orgasmus, welcher den Knecht zum Riesenweib verwandelt.

Siegestanz des Riesenweibes

Das Riesenweib streckt sich und reckt sich, schließlich verharrt es in einer Brückenstellung.

Aus seinem Schoß kriechen Spinnen und Insekten hervor und sonstige Tiere, auch solche, die sich normalerweise im Wasser befinden, z.B. fischartige Wesen, die in der Luft herumfliegen. Bald wimmelt die ganze Landschaft von den seltsamen Geburten.

Über dem Gewimmel taumelt ein nunmehr blinder Weiser hervor. Obwohl blind, fuchtelt er mit einem Botanisiernetz herum, als ob er Schmetterlinge fangen könnte, aber Schmetterlinge gibt es auch nicht mehr.

Bald folgen ihm weitere Weise, verkrüppelt, erblindet, die von den Geschöpfen des Riesenweibes überfallen werden. Dies alles geschieht aber ganz lautlos und auch langsam, wie Fußballspiel im Zeitlupentempo in einer Fernsehübertragung bei Tonausfall, und würden sich die Zuschauer als Geschöpfe einer höheren Sphäre und damit unantastbar fühlen, irren sie sich: Des Riesenweibes Geburten verlassen den Bühnenraum, schon weil das Riesenweib ununterbrochen weiter gebiert. Es sind so viele fischartige, vogelartige, affenartige, menschenartige kleine Geschöpfe mit Propeller und großen beweglichen Ohren, dass sie im Theater auch die letzten Reihen und die höheren Ränge besetzen können. Der alte Traum der Autoren, dass sie einmal die Zuhörerschaft zu aktiven Mitspielern machen können, ist vielleicht noch am ehesten zu realisieren, wenn die Zuhörer sich verteidigen müssen.

Tragen die angreifenden Tiere honigähnliche Substanzen bei sich, die als Aphrodisiakum wirken, könnten konvulsivische Krämpfe und dadurch ein Massenorgasmus im Theater entstehen, was eigentlich das Ziel der Theaterkunst ist. (Kein Koitus, nur ein einsamer Orgasmus, vielleicht sich festhaltend an dem neuesten Handy mit eingebautem Fernseher.)

ENDE

Entstanden: 1966
Uraufgeführt: 1987 im Kefka-Theater Köln
2. Fassung: 10. Dezember 2004