I. Bild: Wohnungssuche, Mittagshitze

Bulgakow auf Wohnungssuche. Weißer Leinenanzug, buntes Seidentuch um den Hals, modische Halbstiefel: alles etwas dandyhaft. Kettenrauchen auch auf der Straße. Artistenhafte Geschicklichkeit mit der Zigarette, wenn er zugleich auch andere Gegenstände in der Hand halten muß.

BULGAKOW: Bolschaja Sadowaja, Gemeinschaftswohnung,
(zieht einen Zettel aus seiner Hosentasche und liest)
bei einer (er buchstabiert) Pelogej Iwonowno?
Na! Pelageja Iwanowna muß es wohl heißen! Läuten bei ihr.

Er steckt den Zettel ein und klemmt sich ein Monokel ins rechte Auge. Er irrt umher und liest die Namensschilder. Diese sind dürftige Zettel, oft beschädigt, kaum lesbar.

BULGAKOW. Gaga, hm. Ga-Garin, ja. Krupatschkaja,
Gogol! Hm. Gogol, Gogol, Gogol, Die Vornamen freilich passen nicht.
Hier ist ein Denissow und hier ein Dolochow.
Wie heißt bloß diese Frau, zu der ich …
(er zieht den Zettel wieder aus der Tasche)
Probieren wir. In diesem Chaos hier. Aufs Gratewohl. Zum Beispiel diese graue Tür. (er sucht die Glocke) Nanu, keine Glocke!

Bulgakow will klopfen, bevor er es tut, klopft es von innen.

KLOPFEN von innen: -  —  - — - —

BULGAKOW: (ahmt das Klopfen nach) Ta-Tam! Ta-Tam! Ta-Tam! Lustig.
Klopft es von innnen, oder ich halluzinier!

(er klopft nun selber)

STIMME von innen: Ich will hier raus, lassen Sie mich raus!

BULGAKOW: Mensch! Sie klopfen an der eigenen Tür. Sind Sie jetzt schon so besoffen?!
Machen Sie endlich auf!.

STIMME von innen: Der Schlüssel ist doch bei Ihnen.

BULGAKOW: Bei mir! Na! Der Schlüssel, der Schlüssel, der Schlüssel. Bei mir soll er sein. Verrückt!

STIMME von innen: Ist das die neueste Schikane!

BULGAKOW: Sperren Sie endlich auf!

STIMME von innen: Aufsperren ohne Schlüssel! Wie könnte ich’s und wozu, zum nächsten …

(Stille)

BULGAKOW: Verhör? Hab ich richtig gehört? Diese Hitze macht mich noch verrückt.
Sie, Sie Frau oder Mann. Heißen Sie nicht Pelageja Iwanowna? Die such ich nämlich.

STIMME von innen: Ja, so ist es, langsam weiß ich selbst nicht mehr, ob Männlein oder Weiblein … in dem ewigen Dunkel hier, im kalten, feuchten Loch.

BULGAKOW: (zuckt zusammen) Brrrr. Ein Verrückter vielleicht. Oder … Gehn wir weiter.
Erst muß das eigene Logis … Nachher dann …

STIMME von innen: Lassen Sie mich raus, bitte lassen Sie mich raus!

Es trommelt von innen gegen die Tür. Bulgakow entfernt sich, blickt aber immer wieder zurück.

BULGAKOW: Unheimlich … ist diese Tür.

Bulgakow macht im chaotischen Haus noch einige zögernde Versuche, bis er vor einer der Türen stehen bleibt.

BULGAKOW: Wenn mich nicht alles täuscht, Haha! geht alles daneben.
Na, wo hab ich nun den Zettel. Da. In der Gluthitze zergeht alles noch.
Da ist sie! Die Frau Pelogej… Ha! Das A fehlt hier ebenfalls. Na klar.
Dem Zentralkomitee in Wohnungssachen ist das A ausgegangen!
Jetzt muß diese Frau Pelogej heißen, weil die keinen A-Buchstaben mehr haben. Zumindest klopft niemand von innen hier.
Man wird bescheiden.

Er läutet. Die Glocke funktioniert nicht. Er entfernt sein Monokel. Er klopft. Erst leise, dann immer lauter. Endlich öffnet sich die Tür. Eine Bauersfrau unbestimmten Alters, breit, groß, derb, füllt mit ihrer massiven Gestalt die Türöffnung.

PELAGEJA: Was wünscht der Herr.

BULGAKOW: (verbeugt sich sehr höflich)
Ich bin, verzeihen Sie, Doktor Michail Bulgakow. Eigentlich also Arzt.
Die Zentralverwaltung für Wohnungsangelegenheiten gab mir die Adresse hier.
Bei Frau Pelageja, heißt es wohl, Iwanowna, denk ich mir, obwohl überall nur O oder nichts,
jedenfalls, es gibt bei Ihnen, heißt es hier, noch freie Zimmer.
In der Gemeinschaftswohnung. Steht hier auf meinem Wisch.
Heißen Sie so, Frau? Bin ich hier richtig?

PELAGEJA: Ja, Pelageja Iwanowna heiße ich.
Es ist sehr recht von der Zentralverwaltung,
daß die mir einen richtigen Herrn einquartiern.
Ich hause hier mit unserem früheren Knecht.
Nachdem alle aus unserem Dorf, Sie wissen schon, Herr, ausgerottet.
Mein Mann, der Vater, unsere Söhne, alle tot.
Und sonst auch die ganzen Verwandten und Bekannten.
Durch Zufall nur, Arkadij, unser alter Knecht, und ich, wir holten Kürbisse vom Feld, so sind wir übrig geblieben.

BULGAKOW: Ach. (er schaut sich um, ob niemand das Gespräch belauscht)
Vielleicht darf ich eintreten, Frau.
So traurig ist das, was Sie erzählen … Doch, man kann’s nie wissen. Bei manchen Erzählungen und Berichten … Ob alles wahr ist.

PELAGEJA: Was?! Bei mir ist alles wahr, Herr. Sie können Gift darauf nehmen.

BULGAKOW: Gift?! Nicht. Nicht Gift.

PELAGEJA: Unsere, meine toten Söhne sind die Zeugen: Mitja, Wanja, Aljoscha,

BULGAKOW: Aljoscha auch! Und auch Fjodor Fjodorowitsch? Wie Fjodor Michailowitsch?

PELAGEJA: Ja auch. Alle, alle tot. Na sehen Sie, daß ich nicht lüge.

BULGAKOW: Ja, ich seh. Karamasow komplett.

PELAGEJA: Karamasow? Den kenn ich nicht. Ja. Hier sind die Zimmer, Herr.
Das Esszimmer, daraus öffnet sich das Eckzimmer, dahinter in der Kammer wohnt Arkadij.
Eingang und Küche in einem und für uns alle. Klo draußen aufm Flur.

(Bulgakow zuckt zusammen und verstummt für eine Weile)

Na, welches Zimmer wollen Sie?

Bulgakow tritt schüchtern zur Tür des Eckzimmers. Dann rennt er zu der Kachelwand des Esszimmers. Auf dem Kachelofen sind mehrere ausgehöhlte Kürbisse aufgestellt. Bulgakow betrachtet die Kürbisse etwas irritiert. Als sich Pelageja Iwanowna einmal abwendet, hebt er einen Kürbis auf. Er schaut kindisch in dessen Hohlraum hinein, dann aber, um von Pelageja Iwanowna nicht erwischt zu werden, stellt er den Kürbis blitzschnell an seinen Platz zurück.

BULGAKOW: Diese Kachelwand ist genau so wie in unserem Esszimmer in Kiew, oder fast … Andrejewskij-Hang …

PELAGEJA: Ja, der Kachelofen. Er wird von drüben beheizt. Eigentlich.
Wenn der Barbier das so will.

BULGAKOW: Was? Der Barbier?

PELAGEJA: Er werkt drüben im Bad. Barbier und Feldscher und Engelmacher, Herr!

BULGAKOW: Interessant.

PELAGEJA: Naja. Früher war die Wohnung größer, ja viel größer.
Hier, das ist jetzt die Trennwand zwischen den beiden Teilen. Wo wir jetzt stehen war das Esszimmer von einer vornehmen Familie …
Die nur Monate, nur in der Ballsaison, hier weilte, sonst auf dem Gut.

BULGAKOW: (träumerisch) Ach ja. Die Grafen Rostow, die Bolkonskij, der Graf Wronskij …

PELAGEJA: Ich weiß nicht, wie die alle heißen.
Doch, wenn Sie das Eckzimmer haben wollen, hier, sehen Sie …

BULGAKOW: Das Esszimmer und das Eckzimmer. Na ja, das würde irgendwie reichen. Wir sind nicht grad verwöhnt, Tatjana und ich.

PELAGEJA: Nana Herr, nicht beide Zimmer. Entweder Eckzimmer oder Esszimmer.(lauernd) Und Tatjana, ist Ihre Tochter, Herr?

BULGAKOW: Nein, nein. Meine Frau.

PELAGEJA: (sehr rigoros) Die angetraute Gattin, oder nur so?

BULGAKOW: Ist das ein Verhör? Wie?

PELAGEJA: Ich bin für Ordnung. Ich muß das wissen.

BULGAKOW: (enerviert) Angetraut. Angetraut.

PELAGEJA: Also. Nun wählen Sie aus: Entweder Eckzimmer oder Esszimmer.
Wenn Eckzimmer, wo ich jetzt wohn, dann müssen Sie, Herr, und Ihre Angetraute über mich drüberkräuln, wenn Sie wegmüssen. Oder aufs Klo.

BULGAKOW: Nein, nein, das ist unmöglich. Ich würde ewig drinnen hocken in diesem Eckzimmer. Bei Ihnen klopfen wagte ich nie.

PELAGEJA: Dann also umgekehrt.

BULGAKOW: Hm. Umgekehrt. Das ist noch immer …
(er fixiert die Kaminwand im Esszimmer)
Diese Kaminwand ist genauso, oder fast, wie bei uns in Kiew.

PELAGEJA: Ja Herr, das sagten Sie bereits.
Wenn Sie aber hier bleiben, in diesem Esszimmer, das ja ein Durchgangszimmer ist,
muß ich dann und wann über Sie drüberkräuln und über Ihre Angetraute.

BULGAKOW: Dann und wann. Bitte. Selbstverständlich. Hm.

PELAGEJA: Und von dort (sie zeigt zu der anderen Tür) kommt dann auch noch Arkadij Arkadjewitsch.
Wie man es wendet und dreht, so oder so kräuln wir übereinand.
Das ist jetzt so in Moskau. Also wählen Sie.

BULGAKOW: Ich bleibe bei der Ofenwand.

PELAGEJA: Also haben Sie gewählt, Herr? Bleibts dabei?

BULGAKOW: Na, gibt es eine andere Wahl, Frau? Ohne Kräuln, mein ich.

PELAGEJA: Nein. Ohne Kräuln. Nein. So eine Wahl gibt es nicht.

BULGAKOW: Na also.

Er hält die Hand einen Moment zum Handschlag hin, dann aber, zum Teil auch, weil sich Pelageja Iwanowna nicht rührt, läßt er seinen Arm fallen. Beide sind nicht gewohnt als Frau und Mann einen Vertrag per Handschlag miteinander abzuschließen.

BULGAKOW: (verlegen) Also. Wo ist denn dieser Arkadij Arkadjewitsch?

PELAGEJA: Er schläft jetzt seinen langen Schlaf. Nach dem Puff. Nach dem Suff.

BULGAKOW: Soso. Also dann, bis auf Wiedersehen, Frau Pelegaje Iwan—

PELAGEJA: Pelageja. Pelageja Iwanowna.

BULGAKOW: Ich muß es mir merken. Pardon. Die Zentralverwaltung hat mich ganz verwirrt.
Also, Frau Pelageja Iwanowna.

PELAGEJA: Ja. Merken Sie es sich, Genosse Bulgakow.

BULGAKOW: Wie? … Jaja. Auf Wiedersehen.
(er geht los, dann wendet er sich kurz zurück)
Aber … die Kürbisse vom Ofen, die kommen doch weg, Frau. Nicht?
(er verbeugt sich höflich)

Bulgakow geht etwas verwirrt weg. Er vergißt, die Türe hinter sich zu schließen.

Pelageja Iwanowna schaut ihm lange nach, wie er auf dem inneren Gang des Mietshauses verschwindet. Dann setzt sie sich auf den einzigen Stuhl des Esszimmers.

(Pause)

PELAGEJA: Die Kürbisse stören ihn. (sie sinniert nach)
(wiegt sich etwas wie beim Singen)
Junger Mann.
Schöner junger Mann.
Junger Herr.
Feiner junger Herr.

Arkadij erscheint im Türrahmen. Er schaut zu.

ARKADIJ: Mit wem redest du, Frau?

PELAGEJA: Mit dir nicht.

Sie spricht die ganze Zeit mit dem Gesicht zum Eingang, wo Bulgakow verschwand, und würdigt Arkadij keines Blickes.

ARKADIJ: Ja, weil du immer feine Gesellschaft hast.

PELAGEJA: Lieber red ich mit meinen Toten.

ARKADIJ: Pah.

PELAGEJA: Oder mit IHM.

ARKADIJ: Mit Gott vielleicht? Kriegst du auch Antwort, Frau?

PELAGEJA: So ein Blödsinn. Zu ihm bete ich. Wie auch zur Mutter Gottes. Doch jetzt.

ARKADIJ: Was jetzt?

PELAGEJA: ER war hier.

ARKADIJ: (zeigt sich an die Stirn) Mit sich selber reden. Das reiche Kulakenweib spielen.
Wir sind in Moskau. Das Blutbad daheim … ihr Verstand dahin …

PELAGEJA: (hört ihm nicht zu) Ich hab mit IHM gesprochen.
Mit Doktor Bulgakow. So heißt ER. Und Michail noch.
Und ist aus Kiew, und ER wohnt bald hier.
Du mußt dich benehmen, sag ich dir!

ARKADIJ: Ein Doktor bei uns, Frau, du träumst.

PELAGEJA: Du willst verpfuschen, mein Leben. ER war bei mir. Und jetzt ist ER weg.

ARKADIJ: Jetzt ist er weg? War er überhaupt hier? Haha!

Arkadij macht eine wegwerfende Bewegung und verschwindet in seiner Kammer.

Pelageja Iwanowna allein. Sie schaut noch immer gebannt in die Richtung, wo Bulgakow verschwunden ist.

PELAGEJA: O bozse moi. (emphatisch) DICH hat mir die Zentralverwaltung geschickt.

(Pause)

Aber jetzt.
Blitzsauber muß hier alles werden.
Blitzsauber.
Und die Kürbisse darf ich nicht vergessen!

Pelageja Iwanowna rennt in die Küche, dann in den Flur, sie läßt Wasser in einen Eimer. Sie kniet nieder und beginnt mit einer Bürste den Boden zu schrubben.

Bulgakow taucht an einer entfernten Ecke des Treppenhauses auf. Er mustert die Eingangstüren. Er kratzt an den Schildern und an der abblätternden Lackierung.

BULGAKOW: Doch da ist eine Glocke. Hier auch, hier auch! Na, wo ist der jetzt? Der Eingesperrte.
Diese Frau oder dieser Mann.
Wo ist nur diese graue Tür ohne Glocke?

Er sucht weiter und verschwindet dann.